Wer erkennt es – April 2022
In diesem Monat habe ich wieder einen Klassiker herausgesucht. Einen Klassiker, der mich in den letzten Tagen oft begleitet hat, aber nicht oft im Radio gespielt wird. Geht er zu sehr an die Substanz? Ich weiß es nicht. Es lohnt sich aber, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, denn es betrifft uns alle. Hier der Text:
Mütter weinen auf der Straße
Kinder sterben zu ihren Füßen, sag mir warum
Leute hungern überall
Es gibt zu viel Essen, aber nichts ist übrig,
sag mir warum
Kannst Du diese Sonnenstrahlen sehen
Kannst Du sie in meinen Augen sehen
Ich kann das Feuer brennen spüren
Wut und Hoffnung so tief
So tief in meinem Herzen drin
Aber vor meinen Augen
Ist es für manche zu spät
Es scheint, dass niemand zuhört
Leute schlafen auf der Straße
Kein Dach über dem Kopf, keine Nahrung zum Essen,
sag mir warum
Sieh die Fragen in ihren Augen
Hör das Weinen ihrer Kinder, sag mir warum
Wenn es einen Gott gibt, schaut er zu
Kann er einen Hoffnungsschimmer geben
So viel Schmerz und so viel Sorgen
Sag mir, was er sieht
Wenn er Dich anschaut,
wenn er mich anschaut
Was würde er sagen
Denn es scheint, dass niemand zuhört
Wer würde glauben, dass es immer noch passieren könnte
Auch heutzutage und hier
Politiker mögen sich selbst retten
Aber sie können nicht ihr Gesicht retten
Es steht einfach Hoffnung gegen Hoffnung
Aber es ist nicht zu spät
Du sagst, dass es nichts gibt was du tun könntest
Gibt es eine Regel für sie und eine für dich
sag mir warum
Hör zu, kannst Du diese Sonnenstrahlen sehen
Kannst Du sie in meinen Augen sehen
Ich kann das Feuer brennen spüren
Wut und Hoffnung so tief
So tief in meinem Herzen drin
Aber vor meinen Augen
Ist es für manche zu spät
Es scheint, dass niemand zuhört
Eile für mich, eile für mich, sie weinen
Das Lied ist ein Hilfeschrei an Gott und es ist die immer wiederkehrende Frage: Warum? Warum geschieht immer wieder so viel Unrecht und Schlimmes: Krieg, Umweltkatastrophen, Hunger, Tod und Krankheit. Wenn es einen Gott gibt, warum greift er nicht ein?
Das Lied erinnert mich an die Situation der Menschen im Krieg in der Ukraine. „Mütter weinen auf der Straße, Kinder sterben zu ihren Füßen, sag mir warum. Leute hungern überall“ und „Leute schlafen auf der Straße. Kein Dach über dem Kopf, keine Nahrung zum Essen“ weist auf die Folgen u.a. in Kriegen hin und auf die Frage: Warum? Solche Fragen bringen meine Gedanken immer auf das Buch Hiob. Dieses Buch ist für mich der Inbegriff der Beschäftigung mit der Frage „Warum?“. Vermutlich hat es die Person Hiob nicht wirklich gegeben und die Geschichte ist eine philosophische Beschäftigung mit diesem Thema.
In der damaligen Zeit, als das Alte Testament entstanden ist, galt Krankheit, Leid und Unglück als direkte Antwort Gottes auf eine Sünde. Dieser Auffassung widerspricht das Buch Hiob. Seine drei Freunde, mit denen er diskutiert, weisen immer wieder darauf hin, dass er sündhaft gehandelt haben muss, er beteuert aufrichtig, dass dies nicht der Fall war. Da am Anfang die Wette des Teufels mit Gott steht, weiß man als Leser, dass Hiob ein aufrechter, gottesgläubiger Mensch war und er unschuldig in die Leidesspirale kam.
Die Antwort Gottes auf die Klagen von Hiob sind nicht direkt eine Antwort. Sie fragen Hiob, wo er war, als er die Welt geschaffen hat. Also verweist er auf die Schönheit der Welt, auf das Besondere in jeder einzelnen Schöpfung, welches man erst wirklich als Schönheit erkennt, wenn man Leid und Not erlebt hat. Gott will moralische Entrüstung. Er will, dass die Menschen tätig werden und Ungerechtigkeiten ausmerzen. Deshalb greift er nicht ein, er verhindert keine Kriege, keine Notstände, keine Krankheiten. Er hat uns als selbständige Wesen geschaffen, und Selbständigkeit bedeutet auch Verantwortung.
Und oft genug fühlen wir uns machtlos in unserer Verantwortung. Denn was kann der Einzelne denn tun, wenn das eigene Kind an Krebs erkrankt, wenn Krieg im Land entsteht, wenn Hochwasser Menschen tötet und ganze Landstriche verwüstet? Natürlich kann ich jetzt ausführen, dass der einzelne Mensch für das Klima viel tun können und wenn viele dies tun, eine Änderung herbeigeführt wird. Natürlich kann ich jetzt ausführen, dass die Bevölkerung eines Landes seine Führungspolitiker nicht schalten und walten lassen müssen, bis es zum Krieg kommt. Natürlich kann ich jetzt ausführen, dass die Ausbildung unserer Kinder und die Weiterentwicklung der Forschung weiter vorangetrieben werden muss, um gegen Krankheiten tätig zu werden. Und natürlich hätte ich damit Recht. Es hilft einem aber in dem Leid, in dem man gerade steckt, nicht weiter.
Im Lied heißt es im Refrain: „Hör zu, kannst Du diese Sonnenstrahlen sehen? Kannst Du sie in meinen Augen sehen? Ich kann das Feuer brennen spüren, Wut und Hoffnung so tief, so tief in meinem Herzen drin“ Ja, man spürt die Wut, die Wut über die Machtlosigkeit, die man spürt, wenn solch ein Leid einen betrifft. Die Wut gegen Machthaber, die Wut gegen die Gewinner der Ausbeutung der Welt, die Wut gegen eine Krankheit. Aber hoffentlich spürt man auch die Hoffnung, tief im Herzen drin, auf unseren Gott, auf den Sinn, den das vielleicht haben kann.
„Es ist verhältnismäßig leicht, über den Sinn und Zweck von Leiden zu schreiben oder zu reden. Das haben wir ja gerade bei den drei Freunden Hiobs gesehen. Etwas anderes ist es, mitten in den Leiden zu stecken und wie Hiob das Licht nicht mehr zu sehen (Hiob 37,21). Aber ist es nicht dennoch ein großer Trost, wissen zu dürfen, dass Gott stets alles unter Kontrolle hat? Und dass Er Segensabsichten mit uns verfolgt, die am Ende einmal gewiss offenbar werden?“ (https://www.bibelstudium.de/articles/4275/hiob-das-leiden-der-gerechten.html)
Ich denke, dass ist ein gutes Schlusswort. Ein Wort, welches uns zum Denken anregt, wie wir unserer Verantwortung gerecht werden und dennoch nicht verzweifeln, wenn wir die Not in der Welt sehen. Neben der Not gibt es die Schönheit der Welt, die in unserer Verantwortung liegt, und die wir bewahren und schützen müssen. Mit allem, was uns Einzelnen möglich ist, am besten, indem wir möglichst viele motivieren, mitzumachen. Und da hat jeder Einzelne von uns unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen. Aber alle sollten auf ein Ziel hinarbeiten: unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Und? Wer hat es erkannt? Es ist das Lied „Tell me why“ von Genesis. Es erschien im Jahr 1992 als Single. Diese Single hatte keinen kommerziellen Erfolg und erreichte nur knapp die britischen Top 40. „Genesis ist eine 1967 gegründete, einflussreiche britische Rockband, die mit weltweit über 150 Millionen verkauften Alben bis heute zu den kommerziell erfolgreichsten zählt. Gekennzeichnet durch ihre eigenständigen Mitglieder durchlief die Band unterschiedliche musikalische Epochen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Genesis(Band))
Ich wünsche uns allen, dass wir nie solches Leiden erleben müssen. Auch wenn ich weiß, dass dieser Wunsch nicht erfüllt werden wird. Aber ich wünsche uns auch, dass wir das Licht Gottes nicht in unseren Herzen verlieren.
geschrieben von Kirsten Gutleben